„Planetenkinder“

  „…eines der kompliziertesten natürlichen Phänomene,
die es überhaupt gibt“              
(N. Tinbergen)  
 
 
Ist  das  klassische  analytische  Verständnis  psychischer  Störungen und die  darauf aufbauende Deutungstechnik  bei  den  sog.  Asperger-Autisten angebracht?  Oder kann die  „kommunikative Grundstörung“, die  wir ihnen  als  Defizit  zuschreiben, aber  andererseits  auch selbst im  Umgang mit  ihnen erleben,  einen  neuen, anderen  Zugang  ermöglichen?  Wie  können  sie  in der Begegnung  mit  uns  jene frühkindlichen Erfahrungen nachholen,  die  eine Art inneren  Klang- und Echoraum  entstehen lassen?

 

Auch wir planeet-aspergerPsychoanalytiker sollten uns  damit  beschäftigen, wie  die  Psychoanalyse  zu  Verständnis  und zu  einer  fruchtbaren  Arbeit mit  ihnen  beitragen kann. Ich möchte sie hier „Planetenkinder“ nennen, um ihnen das Krankhafte zu nehmen und weil sie oft erscheinen, als wären sie „von einem anderen Planeten“ und könnten Vieles auf „unserem Planeten“ nicht verstehen. Dabei sind sie – und das mag verwundern – Kinder unseres Planeten wie wir auch.

 

 

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(AP Photo/New Line Cinema, A.Markfield)

Ich arbeite therapeutisch seit vielen Jahren mit jungen Asperger-Menschen.
Wenn ich „therapeutisch“ mit „heilbar“ (was immer das auch sein mag) gleichsetze, dann sind therapeutische Bemühungen umsonst. Das liegt aber daran, dass sie nicht krank, sondern anders sind – anders, so wie Homosexuelle anders sind als Heterosexuelle, Afrikaner anders sind als Westeuropäer, … Es sind wertvolle Menschen, die keine Kategorisierung wie „behindert“ oder „krank“ oder ähnliches brauchen. Das „Problem“ mit diesen Menschen ( wenn es denn ein Problem ist) ist doch ein zweiseitiges: weil andere (die „Neurotypischen“ nämlich) die Planetenkinder nicht verstehen, weil die dem „Gruppenzwang“ der Neutotypischen nicht folgen wollen/können, weil Gefühle und Rationalität beider Seiten scheinbar keinen gemeinsamen Weg haben, (usw) – darum werden aus ihnen Behinderte, Kranke und (ganz schlimm!) Untherapierbare. Sie brauchen keine Psychotherapie im eigentlichen Sinn, sie brauchen Verständnis und den Willen, gemeinsam leben zu wollen, ohne Konformität. Aber gerade das macht Angst und dagegen hilft ein Krankheitsschema.
Stellen sie sich vor, sie kämen auf einen Planeten, auf dem es nur Asperger-Menschen gäbe…
…Würde es dort nicht heißen:
Sie haben eine neurobiologische Störung. Die Symptome sind: Übertrieben geselliges Verhalten, Überlegenheitswahn, und eine Fixierung auf Konformität. Sie können nicht gut alleine sein, sind oft intolerant. In Gruppen agieren sie zwanghaft und bestehen oft auf funktionsgestörten, destruktiven und sogar unmöglichen Ritualen, nur um die Gruppenidentität aufrecht zu erhalten. Sie haben ein Problem, direkt zu kommunizieren und lügen viel mehr als gesunde Personen.
Tragischerweise haben 9 625 von 10.000 Menschen diese Störung, das NT-Syndrom.
Mit dem Online NT Screening Test kann jeder herausfinden, ob er NT hat.
Und was tun, wenn Ihr Kind neurotypisch ist? Als erstes keine Panik, denn heutzutage gibt es aufgrund der diagnostischen Fortschritte, frühzeitiger Interventionen und sorgfältig abgestimmter Verhaltenstechniken, keinen Grund, warum Ihr Kind nicht als ein unabhängiges soziales Wesen aufwachsen und mit der Zeit auch einige besondere Interessen und Fähigkeiten entwickeln sollte, um seinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Wenn wir uns auf Entdeckungsreise begeben würden, dann würden wir Stärken oder Talente dieser Menschen entdecken. Wenn man sich auf Menschen mit Respekt vor ihren Talenten und Fähigkeiten bezieht, dann ist eine Terminologie, ein *-Syndrom, überflüssig. Wir sagen Künstler und Dichterin, nicht Künstlerisch-Arroganter oder Dichterisch-Geistesabwesender. Wir sagen Sänger oder Solistin, nicht Mensch mit Sinatra-Syndrom.

Wäre es nicht schön, wenn ein Jugendlicher sagen könnte: „…ist immer schön mal nicht die Gedanken alleine mit sich rumzutragen.“
(s. dazu:  „Gespräche mit Jack„, ein Versuch zu verstehen…)